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Yael Katz Ben Shalom. Re-thinking – Überdenken (German Version)

 
 

 

Israel ist ein Schnittpunkt der unterschiedlichsten Identitäten und Kulturen. Hier treffen Orient und Okzident, Tradition und Moderne und Volksgruppen verschiedenster Herkunft in einem demokratischen Staat direkt aufeinader. Israel ist eine multikulturelle Gesellschaft, aufgelöst in Bruchstücke von Identitäten, die nun an einem Punkt angelangt ist, der neue Sichtweisen herausfordert.

Die Ausstellung "Re-thinking" zeigt zeitgenössiche Fotografie israelischer Künstler, die angesichts der aktuellen Konflikte einen neuen und kritischen Blick auf die israelische Gesellschaft werfen. Israel ist ein junger Staat. Sein geographischer Standort wirft ungelöste historische Fragen auf die mit dem zionistisch/palästinensischen Konflikt auf der einen und mit den sich verändernden Identitäten innerhalb einer Gesellschaft auf der anderen Seite zusammen hängen.

Die Fotografie spielte während der letzten Jahre eine immer wichtigere Rolle innerhalb der bildenden Kunst. Im Gegensatz zu Europa und den USA wurde die Geschichte der Fotografie in Israel noch nicht geschrieben. Daher möchte ich zunächst, ihrer Entwicklung folgend, einige Stationen aufzeigen, um eine tiefer- gehende Auseinandersetzung mit den hier ausgestellten Arbeiten zu ermöglichen.

Seit Erfindung der Fotografie in der Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es Aufnahmen aus Palästina, dem Heiligen Land. Die ersten Fotografen waren Pilger, vor allem Briten, Franzosen und Deutsche, die als wissenschaftliche, archäologische oder religiöse Delegationen aus Europa kamen, um das Heilige Land und seine biblischen Landschaften zu erforschen.

Zur gleichen Zeit entwickelte sich auch die orientalische Fotografie, die durch den Blick des aufgeklärten Europäers den Orient als exotischen und romantischen Ort wahrnahm. Typische Motive waren beispielweise Palmen und Kamele sowie Angehörige der drei Religonen und die heiligen Stätten.

Mit den ersten zionstischen Einwanderungswellen aus Osteuropa nach Erez-Israel am Ende des 19. Jahrhunderts, die Teil der nationalen Renaissance des jüdischen Volkes waren, enstand auch die frühe zionistische Fotografie, die das Land und seine Bewohner aus einem neuen, säkularen Blickwinkel dokumentierte. Diese frühen Fotografen waren Juden, Mitglieder der Pioniergesellschaft, die dörflische und landwirtschaftliche Szenen, wie beispielsweise Arbeiter im Feld oder die Errichtung landwirtschaftlicher Siedlungen abbildeten.

Unter dem Einfluss internationler revolutionärer Bewegungen wie der kommunistischen Revolution, des Dadaismus und des Bauhauses schlug die Fotografie in Eretz-Israel eine avantgardistische Richtung ein und trug dazu bei, Grundlagen für die Errichtung eines Jüdischen Staates zu schaffen. Einrichtungen wie der Nationalfond (Keren Kazemet) und die Jewish Agency propagierten einen fotografischen Stil, der der zionistischen Revolution dienen solte, vergleichbar der kommunistischen Fotografie im Russland jener jahre und dem Stil der Fotografen der Farm Security Administration (FSA) in den USA. Die Fotografie dokumentierte so den Aufbau des Landes bis zur Errichtung eines eigenen Staates.

In den fünfziger und sechziger Jahren stand sie unter dem Zeichen der Gründung des Staates Israel und des israelisch-arabischen Konfliktes. Mit den Kriegen befasste sie sich fast nur aus einem journalistischen Blickwinkel und relektierte, als Pressefotografie, in hohem Maße die Haltungen der herrschenden Institutionen und rechtfertigte deren Position in diesem Konflikt.

In den siebziger Jahren entstand ein Bruch im zionistschen Traum. In der Fotografie dieser Zeit ist eine Flucht vor den nationalen Mythen und vor der Beschäftigung mit gesellschaftspolitischen Themen zu verzeichnen. Die Fotografen begannen sich subjektiven und persönlicheren Themen zuzuwenden und setzten sich mit ihrer individuellen Perspektive auseinander – mit Intimität und Sexualität, mit der Familie, mit ihrer Kindheit und damit auch mit der eigenen Identität. Gleichzeitig fand eine rasante Entwicklung der Kunstfotografie statt, die von den Strömungen der internationalen Gegenwartskunst, vor allem aus den USA, wie der Pop Art und der Konzeptkunst, beeinflusst war. In den israelischen Museen wurden erstmals Fotografie-Abteilungen eröffnet und Schulen gegründet, welche die Grundlage für eine israelische Fotografie schufen. Auch in den Galerien fanden zu jener Zeit zahlreiche Ausstellungen von Fotokünstlern statt.

Die achtziger und neunziger Jahre wurden durch einen verstärkten Dialog zwischen bildender Kunst und Fotografie bestimmt. Künstlergruppen entstanden, die sich mit manupulierter oder experimenteller Fotografie befassten. Während sich neue künstlerische Bereiche wie Installationen, Videokunst und neue Medien-und Kommunikationstechnologien entwickelten, bildete auch die Fotografie eine Vielzahl unterschiedlicher Tendenzen heraus.

Heute ist Israel nich nur angesichts des seinen Höhepunkt erreichenden, nationalen Konfliktes zerrissen und zerstritten, sondern auch angesichts sozialer und religiöser Probleme. Neben den alten Themen der nationalen Identität und des Bruches mit nationalen Mythen, geht es heute um Fragen der kulturellen Orientierung der unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen, der Gebietsaufteilung, des religiösen Fundamentalismus, sowie der Integration von Einwandern und Gastarbeitern.

Die an der Ausstellung "Re-thinking" beteiligten Fotografinnen und Fotografen vertreten unteschiedliche künstlerische Ansätze, angefangen bei der Dokumentarfotografie bis hin zum Dialog zwischen Fotografie und Malerei. Die gemeisame Präsentation dieser Arbeiten erlaubt einen Blick auf das neue Israel und spiegelt zugleich den aktuellen Diskurs, den "Break" vor dem "Breakthrough" wider Hally Pancers Serie "Golan Höhen" zeigt beispielhaft eine neue Sichtweise israelischer Fotografen auf die Landschaft Isarels: Die Golan-Höhen sind ein umstrittenes Stück Land, das die Künstlerin als Landschaft mit kriegerischer Vergangenheit Kennzeichnet. Die Darstellungsform, die sie wählt, basiert auf der Landschaftsfotografie mit den hier eigenen romantischen Elementen. Hally Pancer lenkt den Blick von den Zeichen der Erinnerung nicht ab, auch nicht von der Tatsache, dass dort eine Schlacht stattgefunden hat. Sie agiert als Zeugin, nicht aus einer Kämpferischen Haltung heraus. Unter formalästhetischen Gesichtspunkten knüpft sie an die amerikanische Fotografie der siebziger Jahre, die "Neuen Topografen" an, die Landschaften aus einem entfernten und entfremdeten Blickwinkel heraus fotografierten – eine der Konzeptkunst ähnliche Haltung. In ihren Portraitserien zeigt Hally Pancer die Menschen in ihrem natürlichen Umfeld, in ihren Wohnungen. Aus einem multikulturellen Blickwinkel heraus versucht sie eine neutrale und gleichberechtigte Dokumentation unterschiedlicher Volksgruppen zu schaffen und zeigt zugleich, dass alle menschliches Leid verbindet.

Joel Kantor is von der amerikanischen Fotografie der fünfziger Jahre und von Fotografen wie Robert Frank, dem jüdischen Flüchtling aus dem Nachkriegseuropa, der sich wie er mit Fragen der Identität befasste, beeinflusst. Er identifiziert sich mit Frank, der die Losgelöstheit der Menschen im New York der fünfziger und sechziger Jahre dokumentierte. Kantor, selbst Immigrant aus Nordamerika, fand Israel als ein zerstrittenes Land mit Einwanderungs- und Identitätsproblemen vor. Enttäuscht vom amerikanischen Traum, entwickelte er seine eigene Künstlerische Sprache, die mit der Suche nach Identität und Heimat verbunden ist. Er vertritt die fotografische Position des "City Roamers". Das Umherstreifen zeigt das Verlorensein, das Flüchtlingsdasein und die Obdachlosigkeit. Als Dokumentar-Fotograf weist er besondere Empfindsamkeit für Menschen am Rande der Gesellschaft auf, für Flüchtlinge, Emigranten, und für all jene, denen es nicht gelungen ist, sich in die jüdische Erneuererung in seinem Land einzufügen.

Joel Kantor lebt in gewisser Weise in der Diaspora, wie der "Schuster", den er in seiner Arbeit dokumentiert hat Der alter jüdische Mann, Überlebender eines Konzentrationslagers, hat die Diaspora in seinem Gepäck nach Israel mitgebracht. Kantor fungiert als Zeuge und vertritt so eine sozialkritische Haltung. In seinen Arbeiten, die keine Lösung der gesellschaftlichen Zustände anbieten, sind Hilflosigkeit und Melancholie spürbar.

Judith Guetta gehört zur Künstlergeneration der achtiziger Jahre. Sie bewegt sich auf der Grenzlinie zwischen Fotografie und Malerei. Früher arbeitete sie viel mit Kohle, auch ihre Fotografien suchen den Kontrast zwischen schwarz und weiß. Ihre stark vergrößerten Aufnahmen bearbeitet sie auf dem Computer und druckt das Ergebnis dann auf Leinward aus. Man kann sie der Gruppe des "Postpop" zurechnen, die mit manipulierter, "bearbeiteter" Fotografie arbeitet und somit eine Alternative zur klassichen Fotografie (pure photography) schaffen wollte. Judith Guetta beschäftigt sich in erster Linie mit dem urbanen Umfeld. Ihre früheren Themen wie die Dächer von Tel Aviv mit ihren Wasserbehältern, Zypressen, Flugzeugen und auch Krähen, lenkten den Blick nach oben, zum dunkeln, düsteren Himmel. Aufgeladen mit Todessymbolen haben diese Fotografien einen engen Bezug zu ihren Kohlearbeiten. In Bezug auf Israel gesehen, schaffen sie eine apokalyptische Atmosphäre. In der Realität des Krieges ein Gefühl von Verlorenheit und Trauer, das dem israelischen Wesen eigen ist. In ihrer aktuellen Serie "Webereien“ (Arigim) besteht jedes einzelne Bild aus einem Gewebe und Verflechtungen, die nach den Gesetzen der Ornamentik in verschiedenen Variationen als Motiv immer wiederkehren. Die orientalische Ornamentik, die sie mehrmals verviefältigt hat, basiert hier auf dem Bewusstsein westlicher Formen und Inhalte: eine Begegnung zwischen Orient und Okzident. Bei einigen Arbeiten wie "Flowers" oder "Woman Dome" (Abb.S.25,26) sind in die Webereien auch menschliche Motive – Männer und Frauen eingefügt, die aber nicht verschmelzen. Ihre geschlechtiliche Identität bleibt unzweifelhaft: der Mann ist ein Mann, die Frau eine Frau. Die Kahlköpfigkeit des Mannes und seine Position sind erotische Motive, die sowohl Kraft wie die Rückkehr zum Ursprünglichen symbolisieren sollen. Das lange Haar und die Gesik der Frau hingegen, kennzeichnen sie als Ikone. Die Erstarrung der einzelnen Figur löst sich erst im Dialog mit sich selbst und durch ihre Verviefältigung auf und wird so zu einem Ganzen. Zuweilen drängen andere Elemente wie eine Moschee, ein Grab, Wanddekorationen und architektonische Strukturen ins Bild.

"Was mich betrifft", so Judith Guetta, "ist dies der Versuch eine Sprache aufzubauen; Elemente einer Sprache, einen neuen Ort in meiner Kultur zu schaffen und ihn der hiesigen (israelischen) Kultur anzubieten. Ein Versuch, in das, was hier entstanden ist (zumeist westliches), das einzubringen und zu bewahren, was ich fast verloren habe, und was mein Vater verloren hat: Die Wurzeln der einsmals (orientalischen) Kultur."

Die Arbeiten von Eyal Ben Dov dagegen basieren auf der Verbindung von Bild und Text und sind dem postmodernen Ansatz des Sprachwissenschaftlers Roland Barthes nahe, der die Fotografie als zu lesenden Text betrachtete. Eyal Ben Dov setzt sich mit der Frage, wie eine Fotografie zu lesen sei, sowie mit der Verbindung zwischen Fotografie und Fotografiegeschichte auseinander. Er zeigt die heutige israelische Realität scheinbar aus der Sichtweise des 19. Jahrhunderts, die ursprünglich orientaliisch war. Im Grunde bietet er aber neue Optionen des Verstehens der israelischen Identität an.

Das Shantipi Tribal Fest, das Ben Dov in seiner Fotoserie "Shantipi 2000" – Tribal Festival dokumentiert, is eine Form der romantischen Wiederbelebung von Kult und Ritualen unterschiedlicher Volksgruppen in Israel. Diese Bewegung basiert auf neoromantischen Elementen und definiert sich aus einer ethnozentrischen Perspektive heraus, die mit den heute existierenden gesellschaftlichen Erscheinungen in Israel, wie den verschiedenen Volksgruppen und Gemeinschaften, sowie den Spannungen zwischen säkularen und religiösen Gruppen, zusammenhängt.

Eyal Ben Dov unterzieht die frühe Geschichte des Nahen und Fernen Ostens einer Überprüfung mit heutigen, postmodernen Mitteln. Er veranschaulicht milhilfe dieses im Geist des New Age veranstalteten Festivals ein Phänomen in Israel, das den zionistisch-europäischen auf einen orientalisch-gemeinschaftlichen Blickwinkel überträgt.

Adi Nes zählt zur Künstlergeneration der neunziger Jahre, die sich insbesondere mit den Fragen geschlechtlicher Identität auseinander setzt. Ein Teil dieser jungen Küunstler vertritt einen postzionistischen Ansatz, der sich in der Zerstörung der Mythen und anderer heiliger Kühe im Bezug auf die israelische Armee ausdrückt. Er stellt seine persönliche Identität als Homosexueller der Auflösung des Mythos vom israelischen Macho gegenüber, der aus der Verklärung kämpfender Soldaten und Helden enstanden ist. Der Homosexuelle bietet ein neues Bild des Mannes an, das wir brauchen, um uns vom Macho zu lösen. Adi Nes zeigt Konlikte der Männlichkeit zwischen Stärke und Schwäche, das vom Militär mystifizierte Heldentum und seine Dekonstruktion aus der homoerotischen Perspektive. Adi Nes gehört einer Generation junger Künstler an, die sich offen zu ihrer Sexualität bekennen und sich nicht scheuen, kollektive Fragen der Männlichkeit und einer anderen Erotik zu thematisieren. Er arbeitet mit den Mittel der inszenierten Fotografie, der Blick in die Kamera ist direkt und entschlossen. Nur auf die Geschichten gerichtet, die Adi Nes erzählen möchte.

Guz Ray lebt in einem Kibbuz. Auch er zählt zur jungen Generation der neunziger Jahre, die sich mit der Geschichte Isarels auseinandersetzt. Seine Arbeiten zeigen die israelische Landschaft vor dem Hintergrund der zionistischen Geschichte und der Geschichte der Eroberungen. Raz erforscht die Grenzen der Aufteilung des alten Israel und fragt, wem dieses Land gehört. In früheren Arbeiten hat er die Besiedlung der Kibbuzim den Siedlungen in den besetzten Gebiete gegenüber gestellt. Er hinterfragt die zionistische Identität als politisch engagierter, Gerechtigkeit anstrebender Künstler, der glaubt, dass dieses Land unter zwei Völkern aufgeteilt werden sollte.

In seiner fotografischen Serie "Auf dem Weg nach Efrat" arbeitet er mit ähnlichen Mitteln wie die Konzeptkunst der siebziger Jahre, deren typologische Serien sich mit der Auflösung der Landschaft in ihre einzelnen Bestandteile beschäftigte. Guz Ray kennzeichnet die Landschaft als Ort. Wie ein Archäologe überträgt er die Lanschaft auf eine Karte und schafft eine Rasterform aus Wegen, die – ja, wohin? – führen.

In Auf dem Weg nach Efrat zeigt Guz Raz einen Weg, der von einem Ort zu einem anderen Ort führt: von einem israelischen Ort zu einem arabischen Ort, und von einem israelischen Ort zu einer Siedlung. Gezeigt werden Tunnel, die der besonderen Ausformung der israelischen Landschaft entspringen: Wegen der zunehmenden Eskalation des israelisch-palästinensischen Konfliktes, baut Israel ständig Straßen und Tunnel, um arabisches Territorium zu umgehen. Auf dem Weg von einem Ort zum anderen, auf einem Weg, der eine Sackgasse ist, ohne Häuser, sieht Guz Ray die Politische Verlorenheit, den Tod.



// April 2007
 
 
 
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